Kinderverschickungen: Zeitzeugen-Gespräche werden Teil des Lehrplans in der DRK Akademie SH

Die beklemmende Atmosphäre in dem kleinen Schulungsraum war greifbar. 25 Praxisanleiter*innen der DRK Akademie SH hatten sich an diesem Nachmittag zu diesem sehr besonderen Termin in der Kieler Pflegeschule zusammengefunden. Sie waren gekommen, um Angela Scheibe zuzuhören.

Gruppenfoto: 23 Personen stehen vor einer Hecke.© DRK SH
Die Praxisanleiter*innen mit Angela Scheibe (5. v.r.).

Scheibe berichtete von Kindheitserlebnissen. Erinnerungen aus einer Zeit in einem Verschickungsheim in Wittdün auf Amrum. Schulleiterin Jane Koberstein: „Die Stimmung an diesem Tag war friedlich und entspannt, die Betroffenheit und das Mitgefühl der Anwesenden beim Hören dieser Geschichten war aber natürlich groß.“ Angela Scheibe ist eine von 13,2 Mio. der sogenannten Verschickungskinder. Die Verschickung war nach Kriegsende und bis in die 1990er Jahre hinein eine Kurmaßnahme für Kinder. Während des meist sechswöchigen Aufenthaltes in entsprechenden Einrichtungen sollten die Kinder physisch aufgebaut werden. Doch in einigen Kurheimen, darunter auch Häuser des DRK in Schleswig-Holstein, erlebte ein Teil der Betroffenen Traumatisches: Gewalt, Zwangsernährung und sexueller Missbrauch.

Die DRK Akademie SH befasst sich im Rahmen der Ausbildung mit diesem Thema und möchte auch Praxisanleitende für die Thematik sensibilisieren. Denn die Zahl der Pflegebedürftigen, die in jungen Jahren eine solche Erholungskur verordnet bekommen haben, steigt kontinuierlich an. Haben die Betroffenen vor Ort traumatische Erfahrungen gemacht, hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung etwa in Pflegeeinrichtungen. „Diese Personengruppe ist jetzt in einem Alter, in dem einige schon auf eine ambulante oder stationäre Betreuung angewiesen sind. Davor haben viele Angst“, erklärt Jane Koberstein. „Dieses Thema wird bei uns nun standardmäßig Teil des Lehrplans. Es muss schon bei Aufnahmegesprächen gezielt nach einer Verschickungsvergangenheit gefragt werden, damit man zum Beispiel auf eine Nahrungsverweigerung bei den zu Versorgenden adäquat reagieren kann. Wir sind sehr dankbar dafür, dass Betroffene wie Frau Scheibe solche Treffen für unsere Praxisanleitenden ermöglichen.“

Aufarbeitung der Kinderverschickungen

Insgesamt wurden im Zeitraum 1945 bis zum Anfang der 1990er in der BRD 13,2 Mio. Kinder verschickt. Es gab in der Hochzeit mehr als 2000 Verschickungsheime. Das DRK betrieb 88 Kinder-Kurheime. Der Aufarbeitung dieses Kapitels deutscher Nachkriegsgeschichte stellte sich der DRK-Bundesverband u.a. mit einer im Jahre 2025 veröffentlichten Studie zum Thema Kinderverschickung. Der DRK-Landesverband ist auch sehr aktiv in der Aufarbeitung: Seit 2021 gibt es eine Anlaufstelle für Verschickungskinder in der Landesgeschäftsstelle, 2024 folgte eine regionale Studie und im Oktober 2025 eine große Ausstellung “KEINORT - ein künstlerischer Beitrag zur Aufarbeitung der Kinderverschickungen von Heike Fischer-Nagel”.

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