„Wir sind sehr froh, dass wir die Ausstellung für unsere Geschäftsstelle gewinnen konnten“, sagte Anette Langner, Vorstandssprecherin des DRK-Landesverbandes Schleswig-Holstein. „Die leidvollen Erlebnisse und Erinnerungen vieler Verschickungskinder machen betroffen und oft auch sprachlos – und genau da schafft Kunst einen ganz anderen und umso ausdrucksstärkeren Zugang.“
„Mit KEINORT möchte ich Orte der Vergangenheit, die damaligen Verschickungs- und Kinderkurheime, sichtbar machen. Orte, die für Kinder keine Orte waren: Große, oftmals dunkle Häuser, unüberschaubare Gebäudekomplexe, oder kleine beengte Heime, steril, kalt und unpersönlich. Orte, in denen Kinder Leid erfuhren. KEINORT gibt einen vorsichtigen Einblick in die seelische Innenwelt der Kinder von damals und zeigt ihre Zerbrechlichkeit ebenso wie die Verwundbarkeit ihrer Würde in dieser frühen Grenzsituation ihrer Menschwerdung“, so beschreibt die Hamburger Künstlerin Heike Fischer-Nagel ihre Werke. Mit ihrem künstlerischen Beitrag möchte sie mahnen und die kollektiven Erinnerungen der Verschickungskinder bewahren und kommunizieren - den Diskurs zu einer gemeinsamen Erinnerungskultur öffnen und stärken. Mehr dazu auf www.famfisch.de
Eröffnet wurde KEINORT am 07. Oktober im Rahmen einer Vernissage mit mehr als 50 Gästen, darunter auch zahlreiche Betroffene. Drei von ihnen waren zudem Gäste in einer Gesprächsrunde: Angela Scheibe, Heimkoordination DRK-Kinderheim Wittdün auf Amrum, Ingelid Kühn, Heimortgruppe Sankt Peter-Ording und Susanne Dank, Landeskoordination Verschickungsheime SH. Gemeinsam mit Nadine Lenschau, Abteilungsleiterin Sozialarbeit im DRK-Landesverband sowie dessen Vorstandssprecherin Anette Langner, sprachen sie über die Frage „Wie schaffen wir eine gemeinsame Erinnerungskultur?“
Sowohl auf der Bühne als auch im Publikum herrschte schnell Einigkeit: Die Aufarbeitung durch den DRK-Landesverband ist vorbildlich. Nun wolle man gemeinsam mit ehemaligen Verschickungskindern aus den DRK-Heimen auf Amrum und in Sankt Peter-Ording über Gedenktafeln o.ä. vor den jeweiligen Heimen sprechen.
Susanne Dank, Landeskoordination der Initiative Verschickungskinder e.V.: „Ich möchte mich ausdrücklich beim DRK dafür bedanken, dass die Aufarbeitung und der Umgang insgesamt mit uns Verschickungskindern in dieser Form stattgefunden hat und auch der Weitblick für die Zukunft nicht fehlt. Die stattgefundenen Traumatisierungen sind ein gesamtgesellschaftlich zu betrachtendes Phänomen, das durch das lange Schweigen nicht verschwunden ist, lediglich versteckt wurde und uns in den kommenden Jahren immer wieder beschäftigen wird.
Als Landeskoordinatorin wünsche ich mir für die Zukunft, dass weitere Träger die eigene Verantwortung sehen und übernehmen, ebenso die Landes- und Bundespolitik, die damals involviert war. Aus unserer Recherche ist bekannt, dass Millionen Kinder in organisierten Transporten der Bundesbahn verschickt wurden, dass Gesundheitsämter, Ärzteschaft und sämtliche Krankenkassen Teil des Systems waren und dass neben großen Trägern auch sehr viele private Heime zu diesem Leid beigetragen haben. Durch unsere rein ehrenamtliche Tätigkeit ist die Aufarbeitung kaum zu leisten.“
Ebenfalls im Mittelpunkt der Vernissage stand ein Vortrag von Beate Lieb, Referentin für Kinderkurheime und Kinder- und Jugendschutz im DRK-Generalsekretariat, über die Ergebnisse der bundesweiten Studie „Die Geschichte der Kinderkuren und Kindererholungsmaßnahmen in der BRD 1945-1989“.
Öffnungszeiten der Ausstellung: 17.10., 24.10., 07.11., 14.11., jeweils zwischen 10:00 und 15:00 Uhr oder auf Anfrage: kommunikation(at)drk-sh(dot)de
Hintergrund
Zwischen 1945 und 1990 gab es in Schleswig-Holstein fünf konstante Kindererholungs- bzw. Kinderkurheime des DRK – drei in Trägerschaft von DRK-Kreisverbänden und zwei in Trägerschaft des DRK-Landesverbandes: Die Nordseekuranstalt „Goldene Schlüssel“ in St. Peter-Ording sowie das Kindererholungs- und spätere Kinderkurheim Wittdün auf Amrum. Die Studie „Gewalt in der Kindererholung – Trägerschaft und Verantwortung“ (Januar 2023) zeigt die damalige strukturelle Gewalt vor Ort auf.
Weitere Informationen: www.drk-sh.de/verschickungskinder
Bereits 2021 hatte der DRK-Landesverband eine Anlaufstelle für Verschickungskinder geschaffen. Die zuständige Referentin Anke Thomsen ist im regelmäßigen Austausch mit Betroffenen. Daraus ist 2025 ein Zeitzeugen-Projekt entstanden: So führt u.a. Angela Scheibe nun Gespräche mit angehenden Pflegekräften an der DRK Akademie SH, der Pflegefachschule des DRK-Landesverbandes. Die Zeitzeugen-Gespräche werden nun auch im Lehrplan verankert.
Angela Scheibe, Heimkoordination DRK-Kinderheim Wittdün auf Amrum: „Es ist sehr wichtig, dass die Pflegekräfte von morgen die Ängste und die Bedürfnisse der Verschickungskinder kennenlernen, denn manche Situationen in Pflegeeinrichtungen könnten traumatische Erinnerungen wecken. Dafür möchte ich sensibilisieren und ich freue mich, dass es so gut angenommen wird.“